„Ich bin doch auch noch da!“
Diesen verzweifelten Ausruf höre ich nicht zum erstenmal in meinen Gesprächen mit den Partnern der erwachsengewordenen Missbrauchsopfer. Darum möchte ich auch diese an den Rand geschobene Problematik hier unbedingt ansprechen.
Die Partner oder Partnerinnen sind massiv mitbetroffen, denn auch sie müssen mit den schwerwiegenden Folgen des Missbrauchs leben. In Liebesbeziehungen ersehnen sich wohl alle Menschen Vertrauen, Nähe, Intimität, Erotik und eine tiefe seelische Verbundenheit. Gerade hier, aber auch in engen Freundschaften , die keine sexuelle Intimität beinhaltet (!!!) wird der erlebte Schmerz und der Verlust, den missbrauchte Menschen erlitten haben, ganz besonders deutlich. All diese liebesnotwendigen Fähigkeiten wurden ja bereits in der Kindheit durch sexuelle Übergriffe im Keim erstickt, zerstückelt, oder massivst im Wachstum behindert. So fehlen logischerweise die wichtigsten Voraussetzungen für den gesunden Aufbau einer Liebesbeziehung oder auch engen Freundschaft.
Je näher oder enger eine Beziehung wird, umso deutlicher werden die Folgen sexuell erlebter Gewalt in der Kindheit zu spüren, für beide Partner. Solange die Verbindung noch recht lose ist, „funktioniert " sie scheinbar , aber wehe, sie wird zu eng und damit „bedrohlich“! Hier spüre ich beinahe so manches Kopfnicken der Lesenden...
Angst vor Nähe,
steht in allen Fachbüchern unter „Folgeerscheinungen“, ist auch leicht dahergesagt, aber wer sie je gefühlt hat, weiß, wie weh sie tut, diese Angst vor der unbekannten und doch so sehr ersehnten Nähe und der wahren Liebe.
„Liebe heißt : Die Angst verlieren“, sagt der Titel eines bekannten Buches. Schön, aber wie geht das ? Wer nicht bereits vorher alles zerschlagen hat, wer nicht weggelaufen ist und sich auch nicht betäubt oder tot gestellt hat, sondern diese Angst ausgehalten, nein, durch sie durchgegangen ist, der weiß, dass sie sogar körperlich wehtut. Panikattacken, kalte Schweißausbrüche, Herzrasen, Übelkeit , ja, so oder ähnlich fühlt sich das an - wenn man lieben und geliebt werden möchte und doch eine gotterbärmliche Angst davor hat. Manche sagen sogar, es sei wie Todesangst. Wie sollen das aber die Partner begreifen können, bei denen Nähe nun doch so ganz andere, so schöne und wohlige Gefühle auslöst ? Es sei denn, beide Partner sind vom Missbrauch betroffen, eine sehr häufige Verbindung übrigens. Eine solche Beziehung sieht dann wieder anders aus. Wer aber denkt, das sei vielleicht die ideale, der irrt gewaltig , auch wenn sie oft eine unglaubliche Intensität hat ! Aber diese beiden Menschen mit den ähnlichen Erfahrungen müssten sich doch verstehen können. Zwei ängstliche, ausgehungerte, ertrinkende Kinder klammern sich voller Panik aneinander und jeder erwartet vom anderen, dass er ihn ans rettende Ufer zieht, ihm die Angst vor der Liebe nimmt. Kann das gut gehen ? Das ist aber wieder ein Thema „für sich“.
Wer mein Gedichtband „Gewaltige Liebe“ kennt, hat damit bereits ein, wenn auch besonders drastisches Beispiel , für eine solche Verbindung. Die Gedichte aus „Rumpelstilzchen“ haben ähnliche Hintergründe, wenn auch hinter vorgeschobenem Sarkasmus ein wenig versteckt...
Nun möchte ich aber hier in erster Linie auf die Beziehungen eingehen, in denen nur ein Partner Missbrauchsopfer ist. Der geliebte Mensch hat in der Regel Schwierigkeiten mit Vertrauen, Verbindlichkeit, Berührung, Nähe und Sexualität und das wirkt sich natürlich erheblich auf die Beziehung aus. „Wie kann ich nun den betroffenen Menschen unterstützen, ohne dabei selbst zu verhungern?“, fragen sich so viele, die frustriert und einsam einen verzweifelten Kampf gegen einen meist ziemlich „unbekannten Feind“ kämpfen, nämlich den Missbrauch des Menschen an ihrer Seite. Wie aber dem/ der Betroffenen helfen und auch noch sich selbst ?
Nun, zunächst ist es , wie überall, wichtig, den Feind überhaupt zu kennen. Der betroffene Mensch redet aber meist ungern, ganz wenig, oder sogar überhaupt nicht über das Thema. Dann gibt es durchaus Möglichkeiten, sich an anderen Stellen über den Missbrauch und seine Auswirkungen zu erkundigen und so manches wird dann mit Sicherheit schon verständlicher.
Eine Frau sagte mir: „Immer und immer wieder habe ich ihm wortlos das Buch „Trotz alledem“ (Wege zur Selbstheilung für sexuell missbrauchte Frauen , Laura Bass.... auch für Männer sehr empfehlenswert ...) direkt vor die Nase gelegt, damit er es endlich liest. Ich habe mich nicht getraut, ihn darum zu bitten. Er hat es immer nur zur Seite geschoben und überhaupt nicht angeschaut“. Dieser Partner hat den stummen, verzweifelten Hilfeschrei seiner Frau nicht wahrgenommen oder nicht wahrnehmen wollen.
Alleine ist das kaum zu schaffen! Partner stehen oft hilflos und verwirrt mitten in einem Orkan der Gefühle, werden mitgeschleift durch Höhen und unsagbare beängstigende Tiefen, durch Himmel und Hölle und wissen nicht, wieso. Und so ist es verständlich, dass auch der Partner oder die Partnerin der/des Betroffenen Hilfe von außen braucht. Das können Freunde oder Freundinnen sein, Ähnlichfühlende in einer Selbsthilfegruppe, die vermutlich allerdings meist erst gegründet werden müsste, oder auch eine einfühlsame Therapeutin/ Therapeut. Wie auch immer, ein sicherer Ort zum Reden und verständnisvolle Zuhörer, das ist ganz wichtig! Die heilende, entlastende und erlösende Wirkung des Redens möchte ich immer wieder betonen . Ist eine Qual erst einmal ausgesprochen, ist sie mit Hilfe der Worte nach außen gebracht, kann sie innen nicht mehr zerstörerisch wirken und außen in Ruhe betrachtet werden.
Ein Patentrezept, einen schnell heilenden Seelenbalsam, einen Knopf zum Umschalten, all das gibt es leider nicht. Die Heilung ist ein sehr mühsamer Weg und die Begleitung auch. Ohne Einfühlungsvermögen, Selbstbewusstsein. Geduld, ja, auch Humor und vor allem die Kenntnis der eigenen Grenzen hat der Partner wenig Chancen, den betroffenen Menschen wirklich „Verbündeter“ zu sein, ihn zu unterstützen, ohne sich dabei selbst zu verleugnen. Aber glauben Sie mir, es ist zu schaffen !!!